Freitag, 8. Mai 2020, von staromat

Mein Leben in Platten – Teil 4

Ende der 80er Jahre verliess ich sowohl die Pubertät wie auch die internationale Musik und konzentrierte meine volle Aufmerksamkeit auf die Schweizer Musikszene. Deren Konzerte waren näher, billiger und vor allem eines – saugeil!

Bevor wir an meinem vinylen Leben weiter drehen, steht noch ein kleiner fotografischer Nachtrag zu Samantha Fox an (die Frau lässt mich nicht mehr los). Im Fotoalbum des Pfadi-St.-Felix-Sommerlagers 1987 bin ich nämlich auf ein äusserst interessantes Bild gestossen:

Dreams of Samantha

Die begehrteste Musikkassette des Lagers gehörte mir und ich habe noch heute keine Ahnung weshalb, aber jeden Abend durfte sie ein anderer zum Schlafen in seinen Walkman legen! An diesem Abend war Chlopfer in der Mitte der erkennbar Glückliche, vermutlich mit ein Grund für den eher säuerlichen Gesichtsausdruck von Mugge links. Wal im Hintergrund hingegen lächelt auch ohne Samantha vor sich hin, wie er eigentlich immer in die Welt gesehen hat.

Doch genug von Frau Fox. Die Schrecken der Pubertät haben wir in Kapitel 3 abschliessend betrachtet, jetzt reisen wir im Eilzug zurück in die Schweiz.

Mein Leben in Platten – Teil 4
Musig us dä Schwiiz

 

Lange vor Bligg, Baschi und Trauffer tingelten etliche kleine Schweizer Bands durch die Gemeinschaftszentren des Landes. Maniacs, The Crew und wie sie alle hiessen. Und Staromat mitten drin – 17 Jahr, krauses Haar!

Die Konzerte lebten allesamt vom Fun Faktor. Musikalisch konnte man darüber streiten, aber die Bandmitglieder und die pogende Meute vor ihnen lebten voll im Moment. Von Run Chicken Run besitze ich heute noch eine Kassette, welche in einer dermassen schlechten Qualität aufgenommen wurde, dass man nicht mit Sicherheit bestimmen kann, was der Musik und was den damaligen Zuständen im Tonstudio zuzuordnen ist. Der Band dürfte dieser Umstand bewusst gewesen sein, schliesslich wurde die Kassette auch in einer bedruckten Kotztüte verkauft.

Baby Jail

„Meine“ erste Schweizer Band, welche das Ganze technisch, musikalisch und vor allem textlich auf ein höheres Niveau brachte, war Baby Jail. Boni Koller und seine Truppe waren lange vor ihrer „Tubel Trophy“ schon unglaublich kreativ unterwegs.

Da werden Beziehungen aufs Brutalste entromantisiert: „Jede Tag, immer s’gliich, ich lieb dich, du liebsch mich. Jede Tag, s’isch e Plag, jede Taaaag.“ Oder man rechnete mit obiger Platte mit der Boulevard-Welt ab: „Mann schlug Mobiliar zu Brei, denn er wollte Sex. König trat in Hungerstreik, denn er wollte Sex. Oma kochte Enkelkind, denn sie wollte Sex. Pfarrer legte Autobombe und verlangte Sex.“

Und dann das legendäre „Moonshine Baby“! Wer diesen Schlager vor über 30 Jahren auch nur einmal live erleben durfte, hat die Melodie heute noch in den Ohren.

Danke Baby Jail!

Ebenfalls nominiert in dieser Kategorie waren:

  • Hecht (leicht späterer Zeitpunkt, aber wenn es dereinst jemandem gelingen sollte, den „Moonshine Baby“ Ohrwurm in meinem Gehirn zu überschreiben, dann wird diese Person mit Sicherheit Charlotta heissen.)
  • Frostschutz (Wer weiss, vielleicht hiess deren „Handtäschlifrau“ ja auch Charlotta.)
  • Radio 200’000 (Wenn wir textlich von „kreativ unterwegs“ sprechen, gehört diese Band einfach mit dazu!)

Böse Bube Eugen

Nimmerland von „Der Böse Bube Eugen“ ist für mich heute noch eine der besten Platten meines Lebens! Ich war so krass Fan von dieser Band. Sänger Rämi arbeitete im Jamarico Plattenladen beim Helvetiaplatz und so zog es mich fast wöchentlich dorthin. Platten konnte ich mir nur wenige leisten, aber ich kicherte jedesmal nervös wie ein 13jähriges Groupie, wenn Rämi etwas zu mir sagte. „Die choschtet 15 Franke“, „Schwiizer Bands hämmer det hinde“ oder sonst etwas Höchstpersönliches.

Was mich damals sehr stark begeisterte, war die Art, wie Eugen das fürchterliche schweizerische Spiessbürgertum besang. „Herr Moser stellt den Abfallsack pünktlich vor die Tür, seine Frau wäscht in der Küche ab – ich hör’s Klappern von Geschirr.“ Und heute, 30 Jahre später, lebe ich so ziemlich genau das Leben von Herr und Frau Moser – und bin glücklich und zufrieden damit. Mein 17jähriges Ich würde mir den Hals umdrehen.

Ein Auftritt der bösen Buben in der Kanzleiturnhalle ist mir besonders stark in Erinnerung geblieben, wobei dabei weniger das Konzert als mehr die Anreise im Fokus steht. Die eifrige Logorö-Leserin Helena bot mir seinerzeit an, mich von Regensdorf nach Zürich mitzunehmen. Ich dachte, es würde sich beim Transportmittel um den elterlichen Personenwagen handeln, doch plötzlich standen wir mit zwei Helmen vor ihrem Motorrad! Ich weiss nicht mehr, ob es sich dabei um eine 125er, eine 250er oder was auch immer für ein Monster gehandelt hatte, auf alle Fälle war das Gerät mindestens vier Mal grösser als Helena selbst.

Was soll ich sagen? Helena ging davon aus, dass ich nicht zum ersten Mal auf einem Motorrad sitzen würde. Ich ging davon aus, dass ich die Fahrt nicht überleben würde. In jeder Kurve von Regensdorf nach Zürich war ich mir sicher, dass bald ca. 70 Kilogramm weniger auf dem Motorrad sitzen würden. Bleich wie ein geschminkter Gruftie stieg ich beim Helvetiaplatz vom Töff und weiss heute vom Konzert selber so gut wie gar nichts mehr.

Ebenfalls nominiert in dieser Kategorie waren:

  • Los Banditos (ist zwar keine Schweizer Band, aber Ende letzten Jahres mein erstes Konzert in einem Güterschuppen seit Ewigkeiten! Und krass war: Ich war zwar mal husch 30 Jahre weg, aber irgendwie hat sich diesbezüglich rein gar nichts verändert. Die anwesenden Gäste schienen die gleichen zu sein und auch deren Stimmung war ähnlich gelöst. Alles knüpfte nahtlos da an, wo Helena mich mit 17 Jahren von ihrem Motorrad entkrampft hatte.)
  • Blues Max (etwas anderer Stil, aber ebenfalls sensationelle Konzerte! Und während ich hier seit vier Folgen über mein Leben in Platten schreibe, genügen Blues Max die 15 Minuten seines „Ego Blues“ vollauf, um die Misere seines Lebens zu erzählen. Einer der besten (und längsten) Schweizer Songtexte überhaupt!)
  • Pfuri, Gorps und Kniri (habe ich erst bei der Recherche zu diesem Text entdeckt und sagt mir somit überhaupt nichts, aber ein dermassen cooler Bandname reicht bei Weitem, um hier aufgenommen zu werden. Und dass Pfuri, Gorps und Kniri gemäss Wikipedia mit Rasenmähern, Abfallkübeln, Plastiksäcken, Mausfallen und Gartenschläuchen musizierten, nimmt sie definitiv ins Visier meiner nächsten Plattensuche.)

Züri West

Mit dieser Platte von Züri West trat 1994 die Liebe in mein Leben! Nicht nur diejenige in die Musik der sympathischen Berner, sondern auch diejenige für die Frau meines Herzens! Und um dieser das meinige zu schenken, bedurfte es einiges an Überredungskünsten. Sie war ebenfalls Züri West Fan (wobei ich in jenen Tagen ohnehin von allem Fan war, was ihr gefiel) und dann traten unsere Idole im alten Palais Xtra auf, das Konzert war flugs ausverkauft und meine Angebetene kartenlos und am Boden zerstört.

Wie es der Zufall wollte, erhielt ich als superfitter Velokurier am Konzert-Tag den Auftrag, etwas ins Palais Xtra zu transportieren. Dort angekommen beendete die Band gerade ihre Proben, Kuno Lauener sprang von der Bühne und stand unversehens vor dem verschwitzten Velokurier. Ich nahm allen Mut zusammen und stammelte irgendetwas von „brauche dringend Tickets für Liebe“ und noch bevor ich mein Paket abgegeben hatte, hielt ich zwei Freikarten in meinen Händen!

Meine Güte wie sich Damals-noch-nicht-Frau-Staromat freute, als ich mit den Karten bei ihr auftauchte! Und ich befand mich erst recht im siebten Himmel! Zumindest solange, bis sie sich irritiert erkundigte, warum ich denn zwei Karten für das Konzert aufgetrieben habe…

Wie auch immer, 26 Jahre später sind wir noch immer zusammen und nur dank sehr viel Fingerspitzengefühl heissen unsere Kinder heute nicht Kuno 1 und Kuno 2.

Ebenfalls nominiert in dieser Kategorie war:

  • Patent Ochsner (gefiel Frau Staromat ebenfalls und die „Schlachtplatte“ mit ihrem betörenden „Scharlachrot“ ist wohl die einzige Scheibe, welche es mit den Kunstwerken von Züri West aufnehmen kann.)

* to be continued *

 

Mein Leben in Platten – Eine Autobiographie in runden Scheiben

Bisher erschienen:
Teil 1 – Die Kindheit
– Teil 2 – Jung und verdammt (heiss auf Musik)
– Teil 3 – Die Pubertät
– Teil 4 – Musig us dä Schwiiz

Based on a true Story – Staromat erzählt als offenes Buch Geschehnisse, die sein Leben bewegten. 

Hier geht’s zu allen Erlebnissen!

 

1 Kommentar zu „Mein Leben in Platten – Teil 4“

  1. Egi sagt:

    C‘mon….. Come out of the egg and puke war HI FI pur….. vielleicht etwas zu heftig „Avant garde“…..🤪… Behaupte mal in 100 Jahren sind solche Top Aufnahmen Standard und ebendiese Kassette Kult….. Aber eben, dann mischle ich wahrscheinlich nicht mehr mit…..
    Geil geschrieben übrigens Deine kleinen Berichtle, obwohl sich da zum Teil musikalisch Abgründe auftun….. Da ich von solchen musikalischen Entgleisungen komplett gefeit war, überleg ich mir schon ob ich dazumal energischer hätte eingreiffen müssen ☝️😬…. Dann wärst heute DJ Crust-Metall-o-mat und geheiratet wird schon lange nicht mehr….
    Dass so n‘Eugene Fan warst wuste ig gar ned…. Frostschutz war ja so n‘Pfadi Ding und find die Pladde heut noch grossartig…. Ausserdem lernte ich ja mal Albert Kuhn (Songschreiber Sänger Frostschutz) kennen….. Ein wirklich lustiger Freak….. War dann sogar mal auf Besuch bei mir und man hat durchaus Handtäschlifrau angestimmt…. Jedenfalls, dem Mann geht’s schlecht….. Aber eben…. man wird älter….. Grad die letzten 4 Wochen sind 3 meiner Musikhelden gestorben….. Gabi Delgado (DAF)….. David Greenfield (Stranglers) und natürlich Kraftwerk Florian Schneider…. Da is es doch beruhigend zu wissen dass „Sabrina“ immer noch in Russland auf der Bühne steht mit dem Unterschied, dass man heute hofft, dass sie mit ihren BH-Versuchen NICHT scheitert….. Egal…..
    Schöns Tächle….. Ach ja, Pfuri Gorps und Kniri waren ja immerhin mal am GP Eurovision…. und gar ned so schlecht und Papa Mia (n‘Denim Groupie) war ihr Manager…. Die Rückseite der „Camping camping“-Single „Rasenmähn“….. Ein Knüller ! „Immer wenns mir schlecht geht muss ich Rasen Määähn 🎼🎼🎼“….. Nuff said ?

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