Danke liebe Frau Häseli
Lasst mich euch heute – 14 Jahre nach dem Start meiner sentimentalen Lebensmomente – in Kapitel 2 die Geschichte von Frau Häseli erzählen. Diese spielt in den tiefen 80er Jahren in einer kleinen Stadt namens Regensdorf im Zürcher Furttal.
Frau Häseli arbeitete im Beck Keller, einer kleinen Confiserie mitten im Dorfkern von Regensdorf. Diese bestand eigentlich nur aus einer bescheidenen Theke und ein paar Auslagen. Es gab allerlei Brote zu kaufen, verschiedene Torten und einige süsse „Sauereien“ für Zwischendurch. Vermutlich hätte ich als damals 10jähriger Dreikäsehoch von der wohl 50 Jahre älteren Frau Häseli keinerlei Notiz genommen, wäre da nicht diese eine Sache gewesen:
Wir Kinder durften für Frau Häseli bezahlte „Auftragsarbeiten“ erledigen!
Ich habe keine Ahnung mehr, wie es genau zustandegekommen war, auf alle Fälle begab ich mich in jener Zeit oft in den Laden von Frau Häseli und fragte, ob ich etwas für sie tun könne. Anschliessend schickte sie mich Einkäufe für sie zu erledigen, eine Illustrierte am Kiosk zu besorgen oder einen Brief für sie in den Briefkasten zu werfen (welcher sich praktisch unmittelbar neben der Confiserie befand). Als Belohnung für die Erfüllung ihres Wunsches erhielt ich ein „Zeltli“, einen Kaugummi oder manchmal auch ein 20- oder 50-Rappen-Stück. Der Traum vom geregelten Einkommen – mit einem Mal wurde er für uns Knirpse greifbar!
Dieser Sachverhalt sprach sich natürlich herum und teilweise musste man nach der Schule richtiggehend zum Beck Keller spurten, um noch eine Besorgung ergattern zu können. Ich weiss noch, wie mir Frau Häseli manchmal schweren Herzens mitteilte, dass schon drei meiner Kollegen vor mir da gewesen seien und ich heute nun also beim besten Willen nichts mehr für sie tun könne. In meinem jugendlichen Übermut (und weil ich die finanziellen Zustupfe für dringend begehrte Kleinigkeiten wahrhaftig brauchte), setzte ich dann meist meinen traurigsten Hundeblick auf und siehe da: Frau Häseli wurde immer schwach. Ich glaube, hin und wieder durfte ich sogar Brot von der Konkurrenz in ihre Bäckerei bringen, nur damit sie mich nicht erfolglos gehen lassen musste. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Frau Häseli in der ganzen Zeit auch nur ein einziges Mal laut geworden wäre oder sich über unsere Aufdringlichkeit beschwert hätte. Sie war einfach immer da, immer nett und immer grosszügig.
Als ich mich neulich mit einem anderen „Beck-Keller-Schmarotzer“ über die guten alten Zeiten unterhielt, erfuhr ich, dass Frau Häseli vor ca. 25 Jahren verstorben war. Rein rechnerisch gesehen kam diese Nachricht nicht überraschend, ansonsten würden sich gegenwärtig ungefähr 105 Kerzen gegenseitig von ihrer Geburtstagstorte schubsen. Dennoch liess mich diese Mitteilung sentimental und traurig werden.
Frau Häseli, wo auch immer Sie jetzt sind: Ich möchte Ihnen von Herzen Danke sagen. Für die vielen Schläckis und Batzen, die wir von Ihnen erhalten haben. Aber viel mehr für Sie selber, wie Sie waren und wie Sie mit uns umgegangen sind. Ich weiss so gut wie nichts über Ihr Leben neben dem Beck Keller. Aber eines weiss ich mit Sicherheit: Sie haben in diesem sehr vieles richtig gemacht!
Danke liebe Frau Häseli.
Die Rubrik „Lebensmomente“ ist eine zeitlich vollkommen ungeordnete Dia-Schau. Ereignisse meines Lebens, die ich heute noch wie Bilder abrufen kann und die mich alle ein bisschen dahin gebracht haben, wo ich mich exakt jetzt befinde.
Kapitel 1: Ein Ausflug in die Vergangenheit
Kapitel 2: Danke liebe Frau Häseli
Based on a true Story – Staromat erzählt als offenes Buch Geschehnisse, die sein Leben bewegten.
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