Dienstag, 18. Januar 2022, von staromat

Eine luftige Busfahrt

Die heutige Erzählung kommt einer Reise in die Vergangenheit gleich. Sie stammt aus dem Jahre 1989, der Autor wohnte damals im Furttal und mangels Vorhandensein einer S-Bahn-Linie musste man noch den Bus nehmen, um nach Zürich zu gelangen.

Bevor wir jedoch loslegen, noch eine unterwürfige Entschuldigung bei der Frau meiner Wahl. Wurde mir von dieser doch strengstens untersagt, jemals in einem Text in irgendeiner Form Träume zu schildern. Dies sei todlangweilig und das gelte für alles – Kurzgeschichten, Kolumnen, Buchprojekte. Alles! Ja, es ist mir an sich sogar untersagt, in der Nacht selbst zu träumen.

Ich weiss nicht, ob das zählt, Frau Staromat, aber diese Geschichte habe ich 4 Jahre bevor ich Sie kennenlernte geschrieben! In einer Zeit, in der Träume noch Schäume sein durften.

Eine luftige Busfahrt

Kurz vor 8 Uhr sah ich den Bus endlich hinter den Wohnblöcken hervorkommen. Ich benutzte den mittleren Einstieg und setzte mich auf einen Einzelplatz. Ausser mir wollten noch fünf weitere Fahrgäste nach Zürich. Gleich hinter dem Chauffeur sass ein älterer Geschäftsmann. Er trug einen stattlichen Anzug und zwischen seinen Beinen bewachte er einen schwarzen Aktenkoffer. Die hinterste Sitzreihe hatten zwei Schuljungen in Besitz genommen. Ebenfalls im hinteren Teil des Fahrzeuges sassen sich ein junger Italiener und eine vielleicht 25jährige Frau gegenüber. Da sie sich nicht kannten, beobachteten beide angestrengt das Geschehen auf der Strasse.

Mit einem pfeifenden Geräusch schlossen sich die Türen und der Bus fuhr los. Einzig der dröhnende Motor und das Herumalbern der Knaben störte die Morgenruhe. Bei der nächsten Haltestelle wartete eine alte Frau auf den Bus. In ihren Armen hielt sie einen kleinen Pudel, welchen sie auf den Boden stellen musste, als sie ihr Billett löste. Der Fahrer erklärte ihr, dass sie für den Hund extra bezahlen müsse. Dabei bemerkte ich den stark amerikanischen Akzent des Chauffeurs. Er musste neu auf dieser Linie sein. Sonst sass meist ein freundlicher Spanier hinter dem Lenkrad. Nun gut, die Seniorin bezahlte für ihren Hund extra, setzte sich ans rechte Fenster und den Hund auf ihren Schoss. Währenddessen hatte die Dame vis-à-vis des Italieners zu stricken begonnen, obwohl dies in Bussen eigentlich verboten ist. Der Italiener schien dies nicht zu wissen oder nicht zu stören, auf alle Fälle schaute er ihr neugierig zu. Nun hatten wir eine längere Wegstrecke ohne Haltestelle vor uns und bereits nach kurzer Zeit wunderte ich mich über den rassigen Fahrstil des neuen Chauffeurs. Als er dann allerdings mit hoher Geschwindigkeit ein Rotlicht übersah und nur mit viel Glück eine Kollision mit einem blauen Toyota verhindern konnte, wurde es mir zu bunt. Ich drückte auf den Knopf neben der Türe. Doch statt wie gewohnt der Schriftzug „Bus hält“, begann der Befehl „Stop smoking“ in aggressivem Rot aufzuleuchten. Der Fahrer erhöhte die Geschwindigkeit noch mehr. An der nächsten Station warteten einige Leute auf den Bus, wir rasten jedoch in unglaublichem Tempo an ihnen vorbei.

Nun führte die Strecke abwärts. Der Mann mit dem Aktenkoffer schlug diesen heftig gegen die Scheibe hinter dem Chauffeur und fragte ihn, ob er denn verrückt geworden sei. Eine Antwort erhielt er nicht, der Amerikaner zeigte bloss gelassen auf die Tafel mit der Aufschrift „Bitte nicht mit dem Chauffeur sprechen“. Der Bus schwankte und rüttelte bereits sehr stark. Mittels waghalsiger Manöver überholten wir einige Personenwagen. So weit man sehen konnte, wies die Strecke vor uns nun keine Kurven mehr auf und der Bus beschleunigte weiter.

Über sein Mikrophon teilte uns der Fahrer mit, dass wir uns doch bitte anschnallen sollten, was ich zuerst für einen schlechten Scherz hielt, doch dann bemerkte ich, dass bei allen Sitzen tatsächlich Gurte angebracht waren. Diese hatte ich nie zuvor gesehen. Die ganze Sache begann erst recht unheimlich zu werden.

Die strickende Dame hatte das Stricken eingestellt, da sie sich mit einer Hand an einer Stange festhalten musste. Die alte Frau beklagte sich über den fehlenden Gurt für ihren Pudel. Nach mehreren misslungenen Versuchen gelang es ihr, diesen in ihre Einkaufstasche zu stecken. Dem Geschäftsmann schien übel geworden zu sein und der Italiener war dazu übergegangen, mehrere Ave Marias hintereinander hervorzupressen. Einzig die Knaben hinten im Bus schienen ihre Freude an der wahnsinnigen Fahrt zu haben. „Cool!“, „Krass!“ und „Meine Fresse!“ lauteten ihre Kommentare.

Mit einem Mal hörte der Bus auf zu schaukeln. Auch das Gefühl der rasenden Geschwindigkeit war wie weggeblasen. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte meine Befürchtung.

Wir flogen.

Aktentaschen-Mann begann leise zu wimmern. Er habe seine Reise-Drops nicht eingenommen und ohne diese würde es ihm immer schlecht beim Fliegen. Zudem fehlten die Plastiktüten hinter den Lehnen und überhaupt, warum fliege dieser Bus denn eigentlich? Die alte Frau stellte ihre Einkaufstasche auf den Boden, da es aus dieser tropfte. Einer der Schuljungen wiederholte dauernd, dass ihm dies sicher niemand glauben werde, da man ihm ohnehin nie etwas glaube. Der andere Knabe sah aus dem Fenster und betrachtete staunend den Wald, den wir gerade überflogen.

Plötzlich stachen wir in die Tiefe. Der Bus musste in eine Luftloch geraten sein. „Mamma mia!“, schrie der Italiener, schlug mit den Armen wild um sich und warf dabei die Tasche der nicht mehr strickenden Frau um. Wie zu erwarten war, verstreuten sich sofort Wollknäuel in allen Farben über den Boden.

Der amerikanische Busfahrer, welcher nun zum Buspiloten geworden war, gewann unser Vertrauen zurück, indem er sein Gefährt bzw. sein Gefliegt mit einer lang ausgezogenen Schleife wieder in die Höhe brachte.

„I’m very sorry“, entschuldigte er sich und erlaubte uns, die Sicherheitsgurte zu öffnen. Sein Name sei Mike, stellte er sich vor, stellte den Bus auf Autopiloten und erläuterte uns in einem kurzen Vortrag allerlei Wissenswertes über das vollkommen neuartige Flugsystems des Busses. Ob wir noch Fragen hierzu hätten.

Sofort gab der Geschäftsmann zu bedenken, dass er aufgrund seiner vielen Flugmeilen mit Sicherheit kein Ticket hätte lösen. Die alte Frau beklagte sich über das Fehlen eines Hunde-Klos für lange Flugstrecken. Einer der Knaben bat den Amerikaner, ihm alles schriftlich zu bestätigen. Der Italiener begab sich nach vorne und sammelte entschuldigend die herumrollenden Wollknäuel ein. Dies schien sein Vis-à-vis wieder in Schwung zu bringen, wollte die Dame doch sofort vom Chauffeur wissen, ob das Stricken denn auch während des Fliegens verboten sei.

Auch ich war nicht ganz sorglos und äusserte meine Bedenken, wann und wo wir denn wieder landen würden. Diese Frage besass ihre Berechtigung, da kurz zuvor der Zürichsee hinter uns am Horizont verschwunden war.

Wohin wir denn wollten, fragte der Pilot zurück. „London? Paris? New York? It’s your choice!“

Nach dem Mehrheitsprinzip wählten wir Zürich-Hauptbahnhof als Anflugort aus, obwohl die alte Frau und ihr Pudel ganz andere Pläne hatten. Leicht enttäuscht brachte Mike den Bus in Schräglage, vollzog eine halbe Drehung und nahm wieder Kurs auf Zürich. Ich bewunderte den nun ruhigen Flugstil und die herrliche Landschaft unter uns.

Um diese Geschichte in die Realität zu retten, müsste ich jetzt plötzlich schweissgebadet auf dem Sitz eines fahrenden Busses aufwachen und feststellen, dass sich alles nur in meiner Traumwelt abgespielt hatte.

Wir landeten jedoch ohne Schwierigkeiten, bloss mit einer kleinen Verspätung, gleich neben dem Hauptbahnhof Zürich.

In der Geschichtenkiste sammelt Staromat alte und neue Erzählungen aus der eigenen Feder.

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