Samstag, 8. Januar 2022, von staromat

Kneipen-Geschichte

Die Publizierung einer Erzählung aus meinen Jugendjahren kommt nicht ohne eine Prise Vergangenheitsbewältigung aus. Die „Kneipen-Geschichte“ entstand NICHT unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen, jedoch unter demjenigen hirnschrumpfender Lektüre.

Das nachfolgende Ammenmärchen wurde 1989 im Regensdorfer Jugendmagazin „Randstei“ abgedruckt. Bevor ihr dieses nun drei Jahrzehnte später Reich-Ranicki-mässig zerfetzt, bedenkt bitte, dass der damals 17jährige Autor sich literarisch ausschliesslich von Stephen-King-Romanen, John-Sinclair-Schundheftchen und Gruselgeschichten-Comics ernährte.

Das erklärt noch nicht alles, aber doch so einiges.

Kneipen-Geschichte

He, du da. Ja du. Sag mal, so ganz unter uns, wirfst du abends, bevor du schlafen gehst, auch immer einen kurzen Blick unter dein Bett? Na komm schon, du musst dich deswegen doch nicht schämen. Und? Machst du’s? Na eben, habe ich mir’s doch gedacht. Du musst wirklich nicht rot werden, ich habe das früher doch auch immer getan. Bis zu jener Nacht vor drei Jahren.

Was damals geschehen ist? Das ist eine lange Geschichte. Du willst sie hören? Also gut, aber weisst du, meine Kehle fühlt sich etwas trocken an. Ein Bier würde mir sicherlich gut tun. Du spendierst mir eins? Na dann lehn dich zurück und erfahre, weshalb ich aufgehört habe, unter mein Bett zu blicken.

Das Ganze begann an einem schönen Juni-Abend. Ich war noch in einem Lokal gewesen und hatte das eine oder andere Bier gekippt. Auf dem Heimweg rempelte mich ein alter Mann an. Ich fluchte erstmal zünftig und forderte ihn auf, sich gefälligst bei mir zu entschuldigen. Er aber meinte nur, es wäre zu meinem Vorteil, wenn ich an diesem Abend nicht unter mein Bett schauen würde. Ich hatte keinen blassen Schimmer, woher der Alte Kenntnis meiner Macke hatte und war deshalb wohl etwas überrascht. Jedenfalls nutzte der Rüppel meine kleine Unaufmerksamkeit aus und verschwand in einer dunklen Nebengasse.

Ich hatte keine Lust, ihn zu verfolgen, schlenderte nach Hause und dachte erst wieder an den Typen, als ich später schon beinahe eingeschlafen war. Was hatte er gesagt? Ich bemerkte, dass ich an jenem Abend mein höchstpersönliches Ritual noch gar nicht ausgeführt hatte. Ich lehnte mich also etwas vor, stützte meine Hände auf den Bettrahmen, blickte unters Bett und…

Zwei klauenbewaffnete Pfoten griffen nach mir. Es roch wie in einem schlecht geführten Affenkäfig. Die beiden schrecklichen Pranken gehörten zu einem nicht minder furchtbaren Ungeheuer, welches unter meinem Bett lag und gedachte, mich ebenfalls dorthin zu zerren. Was ihm auch gelang. Ich flog in eine tiefe Grube, welche mir unter meinem Bett nie zuvor aufgefallen war. Dort kämpfte ich mit dem Biest um mein Leben. Ich war einiges schwächer als mein Gegner und spürte seine Krallen bereits an meinem Hals, als ein Wunder geschah.

Das Monster musste niesen.

Ich nutzte die Gelegenheit, schwang mich aus der Grube und erwartete, meinen Kopf am Bettgestell wundzuschlagen. Mein Bett aber war weg. Ich stand alleine auf einem ebenen Gelände. Es war Nacht, Mondschein erhellte die Szenerie. Dann merkte ich, dass ich doch nicht so einsam war. Weit entfernt, am östlichen Horizont, sah ich eine Bewegung. Besser gesagt waren es Tausende von Bewegungen, welche allesamt auf mich zu kamen. Ich floh nach Westen, sprang über grosse Ritzen im Boden und blickte erst nach etwas mehr als hundert Metern über meine linke Schulter zurück.

Den Horizont sah ich nicht mehr. Abertausende von riesigen Hunden, ach, was sage ich, Pferden verdeckten meine Sicht. Sie verfolgten mich mit horrender Geschwindigkeit. Ich versuchte, mein Tempo zu steigern, doch die Horde aus elefantengrossen Tiergestalten war viel schneller. Bereits spürte ich ihren stinkenden Atem im Nacken, als ich in einen tiefen Spalt im Boden fiel. Mehr als zehntausend Wesen, grösser als Dinosaurier, sprangen über mich hinweg.

Ich war gerade noch einmal davongekommen. Doch wo war ich? Ich sah mich um und erstarrte sofort in Eiseskälte. Ich lag in einem gigantischen Haufen voller ekligen Spinnen und Käfern. Diese starrten mich alle an, verharrten aber vollkommen regungslos.

Es schien, als würden sie auf ein Signal warten, um mich anzugreifen.

Plötzlich wurde die eingetretene Stille von einem schrillen Pfiff unterbrochen. Und dann reckten und streckten sie sich! Diesen Anblick werde ich nie mehr vergessen. Alles kroch ungeheuer schnell auf mich zu, die Viecher sprangen auf meinen Körper und suchten wild umher krabbelnd dessen Öffnungen.

Links von mir entdeckte ich den Eingang zu einer Höhle, in welche ich mich mit einem waghalsigen Sprung rettete. Ein heller Schein reflektierte sich an den Wänden. Die Lichtquelle musste im Innern der Höhle sein. Ich folgte dem Glitzern. Die Wände waren unglaublich glitschig. Ungefähr nach drei Stürzen ging der Gang um eine Ecke und mit einem Mal wurde es so hell, dass ich die Hände vor meine Augen halten musste.

Als ich mich an das starke Licht gewöhnt hatte, vergass ich beinahe zu atmen.

Millionen, nein, Milliarden funkelnder Edelsteine in unzähligen Farben lagen vor mir. Diamanten, Rubine, Smaragde. Es war herrlich! Ich warf mich auf den Haufen und wollte darin herumwühlen. Doch, kaum hatte ich die oberste Schicht der wunderschönen Steine durchdrungen, bemerkte ich, was sich darunter befand.

Ich sank ein in eine Masse armgrosser Würmer und Maden.

Ich stiess mich von dem Haufen weg und schüttelte angeekelt die schleimigen Viecher vom Leib. Erst Spinnen und Käfer, dann Würmer und Maden! Was für abscheuliche Missgeburten wohl noch auf mich warten würden?

Ich flüchtet durch einen Gang, welchen ich just in jenem Augenblick erblickte. Mein Entkommen wurde jedoch jäh gebremst, als ich in vollem Lauf gegen eine Wand rannte, sodass mein Körper noch Tage danach schmerzen sollte.

Die Höhle war eine Sackgasse. Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand und diese schwang auf wie eine Türe. Was auch richtig so war, denn auf den zweiten Blick erkannte ich, dass die Felswand in Wahrheit eine Türe war und zwar diejenige, welche zu meinem Schlafzimmerschrank gehörte.

Ich befand mich wieder in meinem Zimmer.

Müde warf ich mich aufs Bett und schlief ein, ohne vorher auch nur einen einzigen Blick darunter zu werfen. Das werde ich auch NIE wieder tun.

Aber hey, was ist denn los? Warum läufst du weg? Was sagst du? Ich sei ein Lügner? Ich hätte das alles nur in meinem Suff geträumt oder erfunden? Aber nein, so warte doch!

Weg ist er. Einfach fort. Genau wie alle anderen. Kein Schwein glaubt meine Geschichte! Es ist mir aber auch egal, ob man dies tut oder nicht. Ich für meinen Teil habe den Beweis für die Wahrheit meines Abenteuers.

Ich fand ihn am Morgen danach. Er hatte sich in meinem linken Bettsocken verfangen. Der Mann im Juweliergeschäft an der unteren Strassenecke meinte, er sei sehr wertvoll.

Copyright der unheimlichen Illustration 1989 by Deif.

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