Montag, 25. Mai 2020, von staromat

Was soll’s?

Für die heutige Kurzgeschichte musste ich TIEF in die Vergangenheit tauchen! Es handelt sich um die allererste Erzählung, welche je von mir veröffentlicht worden ist! Ich kann mich noch an sie erinnern, habe aber das Gefühl, sie in einem anderen Leben verfasst zu haben.

Wir schreiben das Jahr 1989. In der Regensdorfer Jugendzeitschrift „Randstei“ erscheint eine unscheinbare, kurze Geschichte mit dem Titel „Was soll’s“. Ob sie der Anfang von etwas ganz Grossem war, wird sich noch zeigen. Ich bin immer noch unterwegs… ;-)

(Damit die Geschichte in ihrer ursprünglichen Form noch aufgeht, sollte für jüngere Generationen vielleicht erwähnt werden, dass Fernseher früher nicht flach, sondern so klobige, fette Röhrenapparate waren, welche im Rücken des Bildschirms noch mindestens 30 bis 40 Zentimeter nach hinten gingen und… Ach googelt doch selber!)

 

Was soll's?

1. In der Buchhandlung

Da soll das einer verstehen. Bisher lief alles normal, die Leute kamen und gingen. Die Bücher kamen und gingen auch, von einigen Ausnahmen abgesehen. Und plötzlich stürmen alle in meinen Laden und schreien im Chor. Alle nach demselben Buch.

„Geben Sie mir ein Exemplar!“
„Nein, ich war zuerst hier!“
„Ich bezahle das Doppelte!“
„Na und? Mir gehört das Buch!“

Und so weiter und so fort. Es ist mir ein Rätsel. Alle wollen sie denselben Band: „Märchen aus 1001 Nacht“. Okay, es handelt sich dabei tatsächlich um ein lustiges und lehrreiches Buch, aber erwachsene Menschen? Und dann auch gleich so viele?

Nur gut, dass ich mir ein Exemplar verstecken konnte. Ich habe irgendwie das Verlangen, darin zu lesen.

2. Beim Zahnarzt

Daniela wollte eigentlich erst gar nicht arbeiten gehen. Sie hätte lieber noch ein wenig gelesen. Und dann diese Schmerzen in einem ihrer Schneidezähne. Irgendwie ironisch, eine Zahnarztgehilfin, welche aufgrund ihrer Zahnschmerzen nicht arbeiten gehen wollte. Aber sie konnte sich dann doch überwinden. Vom Chef wurde sie nicht gerade freundlich empfangen. Auch er murmelte etwas von Zahnschmerzen.

Und dann hörte sie es.

Aus dem Treppenhaus drangen wilde Schreie und Fluche in die Praxis. Was war denn da los? Die Eingangstüre schien zu bersten. Dutzende von Menschen stürmten ins Wartezimmer. Alle riefen sie nach dem Zahnarzt. Einige fingen an zu weinen und zeigten fuchtelnd auf ihren Mund.

Auch Danielas Zahn schien nun vor Schmerzen zu verglühen.

3. Im Reisebüro

Warum sind wir denn nicht gleich darauf gekommen? Wie konnten wir nur so doof sein? Da sprachen wir so lange darüber und dann waren wir uns plötzlich vollkommen einig.

Ich wollte zuerst auf die Bahamas, aber Elke sagte Nein, sie hätte Angst vor dem Fliegen. Viel lieber würde sie mit der Bahn an die Nordsee fahren. Und ich sagte, auf den Bahamas wäre es aber deutlich wärmer. So stritten wir uns lange, bis wir uns von einer Sekunde auf die andere für ein ganz anderes Ziel entschieden.

Elke rief auf einmal: „Stopp, Heinrich, jetzt hab‘ ich’s. Wir reisen nach Paris.“

Und ich war einverstanden damit. Absolut. Ohne Widerrede.

Dann wollte sie nur noch lesen gehen und ich durfte mal wieder mich sputen, die Reise buchen gehen. Wo ich doch auch gerne selbst noch ein wenig gelesen hätte.

Zum Zahnarzt muss ich wohl auch wieder einmal. Ein Zahn schmerzt sehr. Nun gut, jetzt erstmal die Billette holen. Verdammt viele Leute hier.

„Was? Sie wollen auch nach Paris? Wie bitte, Sie auch? He, mal langsam! Ich war der erste hier! Die Tickets gehören mir!“

4. Im Café

„UND ALLES WURDE ROT“ hätte die Schlagzeile der grössten Zeitung des Landes am nächsten Tag gelautet, wäre diese denn noch erschienen. Denn so war es auch. Er sass gerade im kleinen Café an der Ecke, als die Welt sich plötzlich veränderte. Seltsam war dieser Tag ohnehin schon lange. Die Lust auf das Märchenbuch und Paris konnte man ja auf eine Laune zurückführen. Die Zahnschmerzen, nun, er war nicht gerade der fleissigste Zähneputzer. Aber nun das. Sein Kaffee schwarz wurde plötzlich zu einem Kaffee rot. Der Tisch und die anderen Gäste erröteten ebenfalls, ja sogar seine Hand, welche die Tasse ergreifen wollte, war mit einem Mal krebsrot. Einige Gäste sprangen von ihren Tischen auf, vor dem Café verkeilten sich Autos ineinander. Leute schrien, Kinder weinten. Das Chaos war komplett.

Er für seinen Teil trank seinen roten Kaffee aus, legte rotes Geld auf den roten Tisch und ging aus dem roten Café hinaus in eine rote Welt.

5. Zuhause

„Was machst du da?“

Der kleine Junge tat, als ob er seine Mutter nicht hören würde.

„Ich frage dich nochmals: Was tust du da?“ fragte sie ihn nochmals.

Auch dieses Mal liess seine Reaktion zu wünschen übrig. Er sass einfach nur da und spielte. Alice sah ihren Sohn an. Komisches Spielzeug, das er sich da gebastelt hatte. Es sah aus wie ein abstraktes Fernsehgerät. Nur konnte man dort, wo sonst die Mattscheibe war, hineingreifen. Eine Menge Drähte lagen herum und ein schirmartiges Gebilde wachte, auf dem Fernseher angeschraubt, über alles.

Das war zu viel für Alice. Dabei hatte der Tag noch so schön angefangen. Im Büro lief alles bestens. Das plötzlich aufgekommene Verlangen nach diesem Buch, die Zahnschmerzen und die Lust, nach Paris zu reisen, überstand sie noch locker. Aber als dann das ganze Büro rot wurde, musste sie einfach nach Hause gehen und nach Reto schauen.

Nun, jetzt war sie hier. Ihr Sohn rutschte nur einen winzigen Augenblick zur Seite und Alice konnte einen Blick in das Innere des Kastens werfen.

Dies genügte ihr bereits. Darin lagen, schön nebeneinander hingelegt, Retos Lieblingsmärchenbuch, ein Milchzahn, eine Postkarte mit dem Eiffelturm darauf und eine Tube mit roter Farbe.

„Willst du wohl damit aufhö…“

Weiter kam Alice nicht mehr. Sie konnte nicht mehr verhindern, dass ihr Sohn, dass der kleine Junge, dessen Eltern beide ganztags arbeiteten, dass Reto eines seiner Playmobilmännchen in den Kasten hielt und diesem dann den Kopf abriss.

Aber, was soll’s?

Das Copyright der coolen Illustration zur Geschichte dürfte bei Deif liegen, welcher mich auch 31 Jahre später noch immer sensationell unterstützt, unter anderem mit dem technischen „Unterhalt“ dieser Homepage. MERCI!!!

In der Geschichtenkiste sammelt Staromat alte und neue Erzählungen aus der eigenen Feder.

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