Donnerstag, 12. April 2012, von staromat

Calamity Jane greift durch

Während die Kinder normaler Familien beim Cowboy-Spielen einander nachrennen, „Peng! Peng!“ rufen und theatralisch zu Boden fallen, fügt der Nachwuchs von Justiz-Angestellten hier doch einige Verfahrensschritte mehr hinzu.

Da meine 4 ½ jährige Tochter grossen Gefallen an Lucky-Luke-Comics gefunden hat, habe ich ihr die meisten Hauptcharaktere als Spielfiguren geschenkt: die Daltons, Jolly Jumper, den Gefängnishund Rantanplan und natürlich Lucky Luke himself. Dazu gab’s von den Grosseltern ein Playmobil-Sheriff-Office mit dazugehöriger Gefängniszelle sowie eine Bank mit Tresor (etwas muss ja auch überfallen werden). Ideale Voraussetzungen also, dass die Tochter die Comic-Abenteuer selbständig nachspielen und der Vater mal wieder die Zeitung lesen kann.

Doch weit gefehlt. Lucky Luke Spielen macht natürlich viel mehr Spass, wenn der Papa ebenfalls einige Figuren „steuert“. Was diese dabei sagen dürfen, wird minutiös von der Tochter vorgegeben und darf auf keinen Fall abgeändert werden, ansonsten der Haussegen selbst von Lucky Luke himself nicht mehr gerettet werden kann! Das sieht dann folgendermassen aus:

Während der Sheriff schläft, brechen die Daltons (zum ca. 450igsten Mal) aus dem Gefängnis aus, verbrüdern sich mit den Playmobil-Schurken und krallen sich Gold und Geld aus der nahegelegenen Bank. Der Bankangestellte ruft „Hilfe! Hilfe!“ und zack! kommt Lucky Luke auf Jolly Jumper um die Ecke und schnappt sich die ganze Bande.

So weit so normal.

In gewöhnlichen Haushalten würden die bösen Figuren jetzt ins Gefängnis wandern und das Ganze könnte von vorne beginnen. Nicht so jedoch bei uns zuhause.

Jetzt stellt meine Tochter im Sheriff-Büro ganz viele Stühle an den Tisch. Die Bösen nehmen auf der einen Seite Platz, der Sheriff, Lucky Luke und Rantanplan auf der anderen, ein Stuhl bleibt frei. Dann beginnt das Verhör. Lucky Luke und der Sheriff versuchen, der Gegenseite ein Geständnis zu entlocken, diese bleibt jedoch standhaft und zeigt sich einzig nervös wegen des freien Stuhls. Rantanplan sitzt daneben, haut mit seinen Pfoten wild auf den Tisch und macht dabei die ganze Zeit „Tugg tugg tugg“. So wie es aussieht, wurde für die Rolle des Protokollführers der dumme Hund Rantanplan als am passendsten empfunden!

Dann der Auftritt der gnadenlosen Staatsanwältin, gespielt von Calamity Jane, gespielt von meiner süffisant lächelnden Tochter. Calamity Jane gehört der freie Stuhl! Die Halunken erblicken die neu hinzugekommene Strafverfolgerin und springen gleich von selbst hinter Gitter.

Für wirkliche Staatsanwälte dürfte dieser letzte Part unseres Spiels ein Stoff sein, aus dem die Träume sind.

Ob ich diese gespielten Strafverfolgungen dem Kanton verrechnen kann? Schliesslich handelt es sich dabei um Heimarbeit, Aus- und Weiterbildung und Nachwuchsförderung – alles in einem!

Etwas einfacher gestaltet sich übrigens das Spielen mit meinem bald 1jährigen Sohn: ich baue mit Holzklötzchen japanische Grossstädte und dann kommt Godzilla!

Die Kolumne „Vor dem Büro“ erschien von 2009 bis 2013 in der Letzten Pendenz, dem Mitarbeiter-Magazin der Staatsanwaltschaft Zürich. Staromat schilderte darin die Welt der Justiz aus den Augen einer männlichen Sekretärin.

Hier geht’s zu allen Vor-dem-Büro-Kolumnen!

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