Dienstag, 12. Oktober 2010, von staromat

Thank you for the music

Immer wieder aufs Neue eingeschüchtert lese ich diese Statistiken, wie viel seiner Lebenszeit man zusammengezählt im Zug, im Bett oder mit Essen verbringt. Als Verwaltungssekretär schockiert mich eine Angabe besonders: 150 Tage unseres Lebens (46 Stunden jährlich) verbringen wir in Telefonwarteschleifen!

150 Tage! Man stelle sich dies einmal vor. Da liegt man mit durchschnittlich 78 Jahren auf dem Sterbebett und überlegt sich: „Hätte ich diese fünf Monate nicht besser investieren können?“

Erst recht wenn sich jemand oft an unsere Amtsstellen wenden muss. Wird bei uns doch ohne Rücksicht auf Verluste seit ca. 400 Jahren diese unsägliche Miss-Marple-Melodie abgespielt. Spätestens nach dem dritten „tut mir leid, ich muss Sie weiterverbinden“, entwickelt selbst der umgänglichste Rechtsanwalt ein beachtliches Aggressionspotential.

Wir benötigen dringend eine angenehmere und zeitgemässere Melodie. Die Suche nach dieser birgt jedoch eine Vielzahl von Stolpersteinen. Elvis’ Jailhouse Rock? Geht nicht, die Unschuldsvermutung gilt auch in der Warteschleife. Falco’s „Dreh dich nicht um, der Kommissar geht um“? Zu einschüchternd. Fleetwood Mac’s „Tell me lies, tell me sweet little lies“? Würde perfekt zu den Einvernahmen passen, aber ansonsten?

Es ist ohnehin eine Schande, dass es im Jahre 2010 noch immer nicht möglich ist, eine vom Telefoncomputer individuell der Situation angepasste Warte- oder sogar Hintergrundmusik einzuspielen. Selbst unangenehme Telefonate würden dann mit Sicherheit deutlich entspannter ablaufen:

„Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, chönd Sie churz warte.“
Trio Eugster – Dä söll emal cho.

„Guete Tag. Danke für d’Geduld. Wie chan ich Ihne hälfe?“
Abba – Take a chance on me.

„Sie möchted sich erkundige, wänn dä zueständigi Staatsawalt Ihne endlich zrugg lüte wird?“
Nena – Irgendwie, irgendwo, irgendwann.

„Ich verstah Ihres Problem, aber wäge dem müend Sie doch nöd so usrüefe.“
Boy George – Do you really want to hurt me.

„Sie wänd wüsse, wärum s’Verfahre so lang duuret?“
Morcheeba – Rome wasn’t built in a day.

„Was? Min Vorgsetzte? Dä zueständig Staatsawalt isch leider nöd z’spräche im Moment?“
Bob Marley – I shot the sheriff, but I did not shoot the deputy.

„Es tuet mir leid, aber ich muess Sie wiiter verbinde.“
Talking Heads – We’re on a road to nowhere.

Es gäbe wirklich viele Varianten, Miss Marple ein wenig aufzupimpen. Und wenn die gute alte Justiz dann endlich auf den neusten Stand gebracht ist, stehen bereits weitere Telefonmusik-Projekte in der Pipeline:

  • Strassenverkehrsamt: „Highway to hell“
  • Migrationsamt: „Ab in den Süden“
  • Institut für Rechtsmedizin: „Staying alive“
  • Fachstelle für Häusliche Gewalt: „Can’t touch this“

Die Kolumne „Vor dem Büro“ erschien von 2009 bis 2013 in der Letzten Pendenz, dem Mitarbeiter-Magazin der Staatsanwaltschaft Zürich. Staromat schilderte darin die Welt der Justiz aus den Augen einer männlichen Sekretärin.

Hier geht’s zu allen Vor-dem-Büro-Kolumnen!

1 Kommentar zu „Thank you for the music“

  1. Hierro sagt:

    Bei diesem Beitrag habe ich mich sehr amüsiert. Sensationell verfasst. Da ich muss ich nur sagen: Thank you for this text, Staromat.

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