Mittwoch, 13. April 2011, von staromat

„Also nomal Parkring“

Hin und wieder werde ich gefragt, ob mein Job bei der Staatsanwaltschaft denn nicht gefährlich sei, inmitten all der Verbrecher und so. Die Arbeit an sich nicht unbedingt, pflege ich jeweils zu antworten, der Arbeitsweg hingegen manchmal schon.

Tatort: Ein Bus der Linie 66, unterwegs von Wollishofen zur Sihlstrasse. Tatzeit: Vor ca. 5 Jahren. Aufgrund einer Baustelle beim Hürlimannareal – die ganze Brandschenkestrasse war nur in eine Richtung befahrbar – musste die Linie 66 seit längerer Zeit einen kleinen Umweg fahren. Bis zur Zusatz-Haltestelle Parkring verlief alles noch nach (Fahr)Plan. Etwas später jedoch bog der Bus plötzlich nach links ab.

„Hättet mir da nöd nach rechts müesse?“ flüsterte eine ältere Dame hinter uns. Ein Blick aus dem Fenster bekräftigte ihre Bedenken. Der Bus fuhr durch eine kleine Quartierstrasse, die ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte.

Die Chauffeuse blieb entweder absolut cool oder hatte ihren Fauxpas gar noch nicht bemerkt, fuhr sie doch unbeirrt weiter, derweil sich die Quartierstrasse mehr und mehr zu einem Quartierweg verengte, welcher obendrauf auch noch massiv „under construction“ war. Hinter rotweissen Latten schüttelten Bauarbeiter verwirrt ihre Köpfe ob des ungewohnten Anblickes eines ZVV-Busses an dieser Stelle.

Bald schwand der vorhandene Raum beidseits des Busses auf ein absolutes Minimum. Die Fahrgeschwindigkeit hatte sich auf Schritttempo verlangsamt und sämtliche Fahrgäste blickten ernsthaft besorgt aus den Fenstern. Ob man den Bus mit blossem Rückwärtsfahren hier wieder heraus bringen würde?

Doch noch ging es vorwärts. Plötzlich erklang von der linken Busseite her ein fürchterliches Quietschen, wie wenn ein Fingernagel über eine Wandtafel gezogen wird. Krachend drückte der Bus mehrere Absperrungsbretter zur Seite.

Totenstille im Bus. Wer jetzt gedacht hätte, die Fahrerin würde anhalten und die Kavallerie zur Hilfe rufen, sah sich massiv getäuscht. Durch die umgefallene Bauabschrankung erhielt der Bus wieder mehr Platz und die Chauffeuse fuhr weiter.

Dann der nächste Knaller. Mit einer spektakulären Spitzkehre, bei welcher der Bus ein Strassenschild wegknickte, erreichten wir die Brandschenkestrasse, mussten jedoch dort die unerwünschte Gegenfahrtrichtung einschlagen. So befanden wir uns alle quasi bereits wieder auf dem Rückweg. Würde sie den Bus nun wirklich, mir nichts dir nichts, einfach zurück nach Wollishofen steuern?

„Jetzt chunnt’s au nüme druf a“ sagte die Chauffeuse und bog bei der Kreuzung Waffenplatzstrasse verbotenerweise und höchst riskant nach links ab. Dank diesem Kunstgriff landete der Bus wieder auf der normalen Strecke und steuerte zum zweiten Mal die Haltestelle Parkring an.

„Also nomal Parkring“ verkündete die Fahrerin trocken übers Mikrophon. Mindestens die Hälfte der Fahrgäste stieg sofort aus. Darunter viele, welche Minuten zuvor exakt bei dieser Station eingestiegen waren.

Diejenigen, welche im Bus ausharrten, wurden mit einer Durchsage belohnt, wie ich sie in einem öffentlichen Verkehrsmittel noch nie gehört hatte: „Weiss öpper wo’s dure gaht? Dänn söll er doch bitte füre cho.“ Auf diese Art fand der Bus schliesslich doch noch zur Sihlstrasse und ich etwas später zum Bezirksgebäude.

Die Chauffeuse des damaligen Tages habe ich nie wieder gesehen, weder auf der Linie 66 noch im Büro bei einer Verkehrsdelikt-Einvernahme. Ich hoffe jedoch schwer, dass sie ihren Job behalten konnte. Eine solche Fahrt wird einem nicht alle Tage offeriert.

Die Kolumne „Vor dem Büro“ erschien von 2009 bis 2013 in der Letzten Pendenz, dem Mitarbeiter-Magazin der Staatsanwaltschaft Zürich. Staromat schilderte darin die Welt der Justiz aus den Augen einer männlichen Sekretärin.

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