Ballade von der armen Louise
Es ist wieder Frühling und dieser erweckt (auch ohne Winter davor) das Gefühlsleben aus dem Herbstschlaf. Mich trieb es in die Poesie und so entdeckte ich ein mittelalterliches Gedicht wieder, welches mich schon als Jugendlicher in längst vergangenen Frühlingen verzauberte.
Ballade von der armen Louise
Louise stand am Herd den langen Tag
und ihr Gesicht war schon ganz schwarz vom Rauch.
Und wenn sie nachts auf ihrem Strohsack lag,
da war sie müd und ausgehungert auch.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.
Und als ein Herr sie stehen sah am Herd,
so schwarz vom Rauch verwandelt das Gesicht.
War sie ihm trotzdem die Dukaten wert,
für eine Nacht, sie aber mochte nicht.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.
Da sagte ihr der Herr, dass sie ihm bald
sein Weib möcht sein und ganz in Seiden gehn,
auch hätte er ein schönes Schloss im Wald
dort würde sie nie wieder von ihm gehn.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und blühte wie ein Baum im Sommerwind.
Und jetzt verstand sie auch,
warum nicht Brot allein satt machen kann den Bauch.
Es muss auch Liebe sein.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte, dass er bliebe dieser Sommerwind.
Der Sommerwind ging hin mit Kriegsgeschrei
und färbte in der Nacht den Himmel rot.
Und in der Schlacht war auch ihr Mann dabei,
sie wusste nicht wohin mit ihrer Not.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte wieder sein ein Baum im Sommerwind.
Im Feld lag mancher Reiter schon verweht,
wie Blätter vom vergangnen Jahr.
In ihrem Herzen drin war kein Gebet,
nur wie der Schnee so weiss war jetzt ihr Haar.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und hatte nur den einen Gott, den Sommerwind.
Und als ihr Leib so welk war wie ein Baum
im Herbst, da ging sie in den Fluss
und machte mit dem alten Sommertraum
und ihrer grauen Armut endlich Schluss.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte nie mehr sein ein Baum im Sommerwind.
Francois Villon (1431-1463); Deutsche Fassung: Paul Zech (1881-1946)
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Mehr über François Villon gibt’s hier auf Wikipedia.
Eines seiner grössten Werke war sein grosses Testament (verfasst ca. 1462). Neben zahlreichen Balladen findet man darin auch etliche Varianten, wie Villon seinen eigenen Grabstein beschriftet haben wollte. (Wären diese wirklich allesamt in Tat umgesetzt worden, sein Grabstein hätte garantiert einen Eintrag im Guiness Buch der Rekorde gefunden).
Hier mein Favorit:
Wenn es möglich ist, soll einen Pflaumenbaum
man mir zu Füssen pflanzen.
Um Himmels Willen keinen Block aus Marmor
auf den Schädel tun.
Mein Rock ist viel zu sauber
für den Schaum der sogenannten Ehre.
Auf einem grauen nicht zu kleinen Stein
vom Feld gleich nebenan,
soll kurz und klar geschrieben sein,
wer unten fault und was er so im Leben war.
Bloss nicht mit goldnen Lettern, nein!
Nehmt Teer und schreibt’s mit einem Besenstil daher.
Dann wird die Welt im Jahre 2000 des Herrn Jesu Christ,
noch wissen, wer Villon gewesen ist.
Herr Villon, Sie haben sich bereits um 7 Jahre übertroffen!
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Zum Schluss noch als Kontrast (man muss ja irgendwie auch wieder in die Neuzeit finden) das Lieblingsgedicht meines Vaters, welches ich heute noch auswendig zitieren kann (was nicht wirklich ein Segen ist, aber egal):
Dank sei dem Herrn dafür gedacht,
dass er die Berge so hoch gemacht.
Damit nicht jeder Lumpenhund,
mit denen die Täler so reichlich gesegnet,
dem redlichen Wanderer dort oben begegnet.
Phil & Sophie: Gedanken über Gott, die Welt und alles was sich dazwischen und darum herum befindet.
Hier geht’s zu weiteren allumfassenden Erkenntnissen!