Sonntag, 1. Juli 2007, von deif

Alle meine Entchen…

Als Kind hatte ich mal einen alten Zeichentrickfilm gesehen. Es ging um eine Made, die aus Versehen in eine Kiste kroch, die in ein Flugzeug geladen wurde, das in den Fernen Osten flog – und von da konnte sie nicht mehr zurück.

Um die Verwandten in ihrer Heimat über ihren Aufenthaltsort zu informieren, schlich sie sich in eine Fabrik, stempelte auf den Bauch von Plastikentchen ‚Made in China‘ und schickte tausende auf die Reise über die Weltmeere. Was sich die Zeichner von damals ausdachten und auf Zelluloid bannten, sollte sich Jahre später auf ganz ähliche Art als reales Ereignis wiederholen.

Es war eigentlich ein Unfall: Am 10. Januar 1992 geriet ein chinesisches Frachtschiff in Seenot und verlor einen Container mit Boxen. Darin scharten sich 28’800 Plastikschildkröten, -biber, -frösche und -entchen eng aneinander. Wie mussten die sich gefreut haben, als sie plötzlich das Tageslicht erblickten und dann noch mitten in der wohl grössten Badewanne ihres Lebens, dem Pazifik!

Nachdem die Tierchen ihre erlangte Freiheit erst mal mit einem tollen Rumgeplantsche gefeiert haben mussten, machten sie sich ganz tapfer auf ihre lange Reise. Trotz der vielen Gefahren erreichte mehr als ein halbes Jahr später die erste Gruppe von ihnen – es waren mehrere hundert an der Zahl – den amerikanischen Kontinent und zwar genau in Alaska.

Ein Geschwader kämpfte sich der Küste entlang westwärts und begann ganz lautlos die Aleuten zu bevölkern. Andere kamen noch weiter und strandeten an der Küste Japans. Einer Schar von schwimmbegeisterten war auch dies nicht weit genug; sie setzten zu einer zweiten Runde im Nordpazifik an und gingen in Alaska erst zwei Jahre nach ihrer Befreiung an Land. Die Nimmersatten unter ihnen drehten gar mehrere Runden und tun es heute noch.

Wie bei den Menschen muss es offenbar auch bei Badewannentierchen gewisse Entdeckertypen geben. Denn diese begnügten sich nicht mit nur einer Badewanne. Sie durchquerten – eingefroren im Packeis – ganz gemächlich eine spezielle Passage nördlich von Kanada und gelangten bei Grönland frisch aufgetaut in den Atlantik. Den neusten Prognosen zufolge werden die ersten von ihnen in diesem Sommer unseren Kontinent erreichen. Willkommen in Europa!

Ihr frohes Reiseverhalten ist eine Sensation für die Forscher: Die praktisch unsinkbaren Geschöpfe liefern Wissenschaftlern wertvolle Hinweise über die Strömungsverhältnisse in den Weltmeeren. Der Ozeanograph Curtis C. Ebbesmeyer verfolgt die schwimmenden Entchen und deren enge Verwandte schon seit ihrer Unabhängigkeit vor 15 Jahren. Ihm kann man unter seiner Website gesichtete Exemplare melden.

Wenn du in deinem nächsten Strandurlaub also auf ein verwittertes Entchen triffst, dann schau es dir gaaanz genau an. Es könnte schon viel mehr von der Welt gesehen haben, als es den Anschein macht.

DEIF – Ein Name, der für exzellente Homepage-Kreationen (u.a. das Layout dieser Logorö) sowie feinfühlige, treffsichere Mitten-ins-Herz-Texte steht.

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