Samstag, 4. Juni 2016, von staromat

Dieser eine, dumme Gedanke

Wer kennt sie nicht, diese Situationen, wo man spontan eine nicht wirklich clevere Idee hat und diese in die Tat umsetzt, noch bevor man auch nur ein klein wenig darüber nachgedacht hat. Dann folgt ein Desaster und daraufhin die Frage, wie konnte man nur…

Die Ausgangssituation: Du läufst durch den Mittelgang eines gut gefüllten Zuges und bist auf der Suche nach einem freien Sitz. In deinen Händen befindet sich ein billiger mit Dinosauriern bedruckter Plastikball. Da erblickst du im übernächsten Viererabteil einen guten Kollegen von früher, den du sicher schon seit bald 20 Jahren nicht mehr getroffen hast.

Die Vorgeschichte: Den Plastikball hast du nur dabei, weil du dich mal wieder in der Abfahrtszeit deines Zuges geirrt hast und dir so am Bahnhof noch 20 Minuten blieben, in welchen du am Kiosk eine Cola holen wolltest. Und weil dein Sohn ein grosser Dinosaurier-Fan ist, hast du eben diesen Dino-Ball für 2.95 Franken spontan mit auf den Tresen gelegt.

Der eine, dumme Gedanke: Jetzt entdeckst du also diesen Freund von früher, tief in seiner Gratiszeitung versunken. Und weil ihr früher schon immer so glatte Cheiben gewesen seid und du gerade diesen leichten Ball in den Händen trägst, überlegst du nicht lange und wirfst ihn über ein anderes Abteil hinweg genau in Richtung der Zeitung deines Kollegen. Was kann dabei denn schon passieren?

Was dabei passieren kann: Jetzt geht alles sehr schnell. Dein Wurf gerät etwas zu weit, fliegt über deinen Kollegen hinweg und landet im nächsten Abteil, genau auf dem iPhone eines Jugendlichen. Dieses fällt laut klirrend zu Boden, was jedoch kein Problem sein wird – du ersetzt es ihm noch in der darauffolgenden Woche. Wäre sein Telefon jedoch nicht kaputt gegangen, so hätte der Jugendliche am selben Abend noch ein PDF mit den Lösungen einer wichtigen Prüfung erhalten, wäre daraufhin nicht durchgefallen und hätte seinen Traum, Atomphysiker zu werden, vielleicht verwirklicht. Stattdessen setzt er nun doch alles auf die Karte Fussball, wird Profikicker beim FC Luzern und wäre wohl sogar Nationalspieler geworden, würde seine Karriere nicht ein abruptes Ende wegen üblen Manipulationsvorwürfen nehmen.

Zurück im Zug ist eine ältere Frau gerade im Begriff, hektisch aus dem noch stehenden Wagon wieder auszusteigen, da sie ihre Handtasche im Bahnhofscafé vergessen hatte. Aufgrund des Aufruhrs, welcher dein schlecht geworfener Plastikball auslöst, dreht sie sich im dümmsten Moment um, rutscht auf der Zugstreppe aus und erleidet einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch. Von der darauffolgenden Operation wird sie sich körperlich nie mehr richtig erholen, verliebt sich jedoch im Spital in einen 82jährigen Patienten, mit welchem sie noch einige sehr glückliche Jahre verbringen wird.

Am gleichen Abend deines Ballwurfes hätte die ältere Frau bei ihrer Nachbarin auf deren Zwillinge aufpassen sollen und weil diese Nachbarin kurzfristig keinen Ersatz mehr auftreiben kann, muss sie den geplanten Jass-Abend absagen. Das Restaurant, in welchem man sich zum Jassen getroffen hätte, lief schon länger nicht mehr gut und dem Wirt war klar, wenn er in diesem Monat erneut keine schwarzen Zahlen schreiben würde, müsste er den Betrieb schliessen. Die Gewinnzone wird genau aufgrund der fehlenden Einnahmen der ausgefallenen Jass-Runde verpasst. Der Verlust des Restaurants führt beim Wirt zu massiven Eheproblemen, gefolgt von einer hässlichen Scheidungsgeschichte. Jahre später lernt er eine junge Schwedin kennen, mit welcher er in Stockholm ein hübsches Bistro eröffnet und vier Kinder zeugt. Eines davon gewinnt 24 Jahre später den Eurovision Song Contest.

Eine der drei anderen Jasserinnen kann von der Nachbarin nicht mehr rechtzeitig erreicht werden. Sie erfährt erst im Restaurant von der Absage und beschliesst, in der frei gewordenen Zeit mal wieder so richtig shoppen zu gehen. Dazu kommt es jedoch nicht, da sie bei der Überquerung der Löwenstrasse auf dem Fussgängerstreifen überfahren wird.

Zurück im Zug werden dir all diese Konsequenzen – unmittelbar vor deiner ungeschickten Aktion – plötzlich schlagartig bewusst. Du hältst kurz inne, gehst tief in dich hinein – und wirfst den Ball trotzdem.

Würdest du das nämlich nicht tun und dich stattdessen zu deinem alten Kumpanen ins Abteil setzen, so würdet ihr eure Telefonnummern austauschen, Facebook-Freunde werden und euch einige Wochen später in einer Bar treffen. Es würde ein glatter Abend werden, wie früher hättet ihr sofort wieder viele abstruse Ideen, wie ihr zusammen ein erfolgreiches Unternehmen aufziehen könntet. Im Unterschied zu früher würdest du jedoch dieses Mal mit 85% deines Privatvermögens einsteigen, Geld welches später von deinem doch nicht mehr so guten Kollegen veruntreut werden würde. Deine Frau würde dich daraufhin zuhause raus werfen, nicht ohne dir vorher mitzuteilen, dass sie genau mit deinem Kollegen von früher eine Affäre begonnen hätte. Über diese Schicksalsschläge würdest du nie mehr hinweg kommen und Jahre später einsam vor dem Fernseher beim Betrachten einer Musikantenstadl-Aufzeichnung einem Herzinfarkt erliegen.

Weil du den Ball aber wirfst, vergisst du im darauf folgenden Trubel deinen Kollegen von früher komplett. Du gibst dem Jugendlichen mit dem zerstörten iPhone deine Adresse, kümmerst dich bis zum Eintreffen der Sanität um die aus dem Zug gefallene Seniorin und gehst danach deinen normalen Weg weiter.

Phil & Sophie: Gedanken über Gott, die Welt und alles was sich dazwischen und darum herum befindet.

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1 Kommentar zu „Dieser eine, dumme Gedanke“

  1. Dominic sagt:

    Ich wollte dir die Geschichte zuerst nicht glauben…

    Als ich dann aber die vier Wörtchen «und wirfst ihn trotzdem» las, wusste ich, das kann keine Lüge sein!..

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